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Antworten auf Fragen zum Bürgerforum vom 26. Juni 2020 – Teil 1

In einem Bürgerforum auf dem Meininger Markt hatten sich kürzlich Politiker und ein Mediziner den Problemen der Bürger in Zusammenhang mit der Corona-Krise gestellt. Fragen, die an dem Abend offen blieben, sollten im Nachhinein beantwortet werden.

Auf Karteikärtchen konnten an jenem Bürgerforum-Abend in Meiningen Fragen gestellt werden. Die Gesprächspartner schafften es aus Zeitgründen nicht, auf alle Probleme einzugehen, versprachen den Anwesenden aber, das später noch schriftlich zu tun – unter anderem auf der Internetseite des Landratsamts www.lra-sm.de.

Mitunter gab es mehrere Fragen zum selben Themenkomplex. Auch gingen die Befragten auf die schon mal vor Ort beantworteten Anliegen noch einmal ausführlicher ein. Lesen Sie heute die Antworten (erster Teil) von Landrätin Peggy Greiser.

Warum haben Sie, Frau Landrätin, uns als Spinner bezeichnet?

Wo bitte bleibt die Entschuldigung? Sie haben die Veranstalter der ersten Demo als „kranke Menschen“ bezeichnet die selbst ärztliche Hilfe brauchen. Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker usw.

Wer andere als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, nimmt für sich in Anspruch, in Besitz der einzigen Wahrheit zu sein! Bei Unterdrückung der Meinung, ist das Tyrannei – Zitat eines Politikers.

In den Eingangsstatements war viel von Solidarität und Respekt die Rede. Warum werden Bürger, die Zweifel haben, von Journalisten und Politikern zum Teil als Spinner und Aluhüte beschimpft? Ist das ein respektvoller, solidarischer Umgang mit kritischen Bürgern?

Peggy Greiser: Ich habe niemanden als Spinner bezeichnet. Ich habe zugegebenermaßen zugespitzt gesagt, dass alle, die Verschwörungstheorien verbreiten – etwa dass beim Impfen Chips zur Kontrolle der Menschheit eingesetzt werden – sich mal beim Arzt untersuchen lassen sollen – aber nicht wegen Corona. Zu dieser Aussage stehe ich nach wie vor. Ich finde es besorgniserregend, dass Menschen in Deutschland, die unbegrenzten Zugang zu Informationen haben, blind Verschwörungstheorien aus den USA übernehmen und hier verbreiten.

Wenn es sich dann noch um Ideologien handelt, die Donald Trump als großen Weltretter stilisieren, fällt mir nichts mehr dazu ein. Vielleicht sollten etwa die Anhänger der QAnon-Theorie einfach mal vergleichen, wie in Deutschland die Krise gemeistert wird und wie in den USA die Lage völlig außer Kontrolle ist. Dort gibt es derzeit täglich 50 000 Neuinfektionen und bis jetzt rund 130 000 Todesfälle. Dort läuft es für Herrn Trump gerade nicht so gut. Doch richtig dramatisch ist es für die betroffenen Menschen.

Dass es schwer ist, über Wochen und Monate die Corana-Regeln zu befolgen, ist absolut nachvollziehbar. Es ist auch jedermanns demokratisches Recht, eine andere Meinung zu äußern und gegen die Beschränkungen auf die Straße zu gehen – aber bitte bei den Fakten bleiben. Es gibt immer Sachen, über die man diskutieren sollte und muss, etwa ob bestimmte Maßnahmen sinnvoll sind oder nicht. Aber wer in Deutschland von einer Corona-Diktatur spricht, sollte vielleicht mal in Russland, der Türkei oder Nordkorea eine Demonstration anmelden. Gerne auch in den USA, wo friedliche Demonstranten von Herrn Trump mit Wasserwerfern oder Tränengas begrüßt werden. So etwas wünsche ich mir für Deutschland nicht.

Es hat im Übrigen auch etwas mit Respekt zu tun, dass in manchen Kreisen gewürdigt wird, wie wir bis jetzt gemeinsam die Krise gemeistert haben und was beispielsweise in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Supermärkten geleistet wird; dass unser Gesundheitssystem sehr gut funktioniert, weil viele Menschen versuchen, die Regeln bestmöglich einzuhalten.

Dass die Einschränkung von Grundrechten mit dem Ziel des Infektionsschutzes immer ein schwieriger Abwägungsprozess ist, steht außer Frage. Und dass man darauf immer ein kritisches Auge haben sollte auch.

Wie stufen Sie ein, ob eine Informationsquelle vertrauenswürdig und seriös ist?

Peggy Greiser: Am besten ist es immer, sich verschiedener seriöser Informationsquellen zu bedienen, um sich eine Meinung zu bilden. Wir empfehlen auf der Internetseite des Landratsamtes www.lra-sm.de die Internetseiten des Robert-Koch-Instituts, des Bundesgesundheitsministeriums oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Auch unsere lokalen Tageszeitungen machen einen richtig guten Job, weil sie gut recherchieren, alle Seiten beleuchten und das Thema Corona weder dramatisierend noch verharmlosend betrachten. Im TV hatte man bisweilen den Eindruck, dass es kein anderes Thema als Corona mehr gab und eine Sondersendung die nächste jagte. Auch überregionale Qualitätsmedien wie Spiegel, Zeit oder sueddeutsche.de nutzen wir im Stab, um auch über aktuelle Studien und das internationale Geschehen auf dem Laufenden zu bleiben.

Hat jemand von Ihnen schon einmal mit direkt betroffenen Angehörigen von Covid-19-Erkrankten gesprochen – was die erleben mussten?

Peggy Greiser: Eine Mitarbeiterin aus unserem Haus war vor einigen Monaten erkrankt. Sie hatte auch deutliche Symptome, musste aber zum Glück nicht stationär behandelt werden. Nach zwei Woche war sie aber wieder genesen und steht uns glücklicherweise wieder zur Verfügung.

Welche Chancen kann die Corona-Zeit uns bieten?

Peggy Greiser: Die Krise und ihre Herausforderung bietet auch viele Chancen. Ich bin mir sicher, dass wir einen riesigen Schritt in Richtung Digitalisierung der Wirtschaft machen werden. Das gilt natürlich auch für den digitalen Arbeitsplatz – Stichwort Homeoffice. Und es gibt ja auch das Sprichwort, dass sich in der Krise zeigt, auf wen man sich verlassen kann. Das gilt natürlich nicht nur für private Beziehungen. Corona hat verdientermaßen auch bestimmte Berufsgruppen wie Pflegekräfte in den Fokus gerückt, da war es einfach überfällig, dass hier mehr Respekt und bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Und ich denke generell, dass wir über unser Gesundheitssystem künftig noch mehr reden werden und ob die Sparpolitik der letzten Jahre der richtige Weg ist.

Betrifft ambulante Pflege: Unterstützung für pflegende Angehörige von alten und behinderten Menschen war sehr wenig gar bis gar nicht. Wie könnte das anders geregelt werden, sollte es eine zweite oder dritte Welle geben?

Peggy Greiser: Das ist ein ganz schwieriges Thema, bei dem ich wirklich meinen tiefsten Respekt vor pflegenden Menschen ausdrücken möchte, die nicht nur während der Corona-Krise die ganze Zeit auf sich allein gestellt sind, nun aber gar keine Entlastung erhalten und rund um die Uhr für ihre Angehörigen da sind. Diese Leistung, die eigenen Bedürfnisse für andere Menschen zurückzustellen und gleichzeitig noch den weiteren Alltag zu managen, kann man nicht hoch genug würdigen. Theoretisch ist die Tagespflege nach der aktuellen Rechtsverordnung des Landes wieder möglich. Aufgrund der nicht unberechtigten Sorgen der Träger, sich das Virus einzuschleppen, findet diese in der Praxis aber kaum statt.

Ziel ist es ja gerade auch, die Risikogruppen zu schützen. Gleichzeitig können die ambulanten Pflegedienste nicht alle Bedarfe decken und die Rehakliniken bieten leider auch keine Kurzzeitpflegeplätze an, was eine gute Lösung wäre. Insofern versuchen wir, über unseren Pflegestützpunkt Einfluss zu nehmen. Leider können wir hier aber nur Lobbyarbeit betreiben, nachhaken, vermitteln und koordinieren, aber der Ball liegt hier eigentlich beim Bund und Land, wo man sich Gedanken machen muss, wie man für pflegende Angehörige Entlastung schaffen kann.

So sollten Tagespflegeangebote speziell gefördert werden – beispielsweise, indem regelmäßige Tests in den Einrichtungen bezahlt werden. Auch sollten Angehörige durch die Situation kein eigenes Armutsrisiko eingehen müssen. Hier sind ebenso die Arbeitgeber gefragt, mit flexiblen Arbeitsmodellen zu unterstützen und damit gleichzeitig Arbeitskraft zu erhalten. Auch sollte der Bund mit den Kassen Umwidmungen von Pflegeleistungen möglich machen, dass die Gelder, auf die Anspruch besteht, aber aufgrund Corona kein Angebot zur Verfügung ist – die also nicht genutzt werden können – anderweitig für Alltagsentlastung sorgen können. Zeitweise Betreuung zu Hause ist hier das Stichwort.

Warum sollte die Corona-App in Deutschland besser funktionieren als in Norwegen? Da ist sie gescheitert wegen Datenschutz und zu geringer Teilnahme.

Die Corona App kann gehackt werden. Die TU Würzburg, Berlin, Marburg, Darmstadt haben das bewiesen. Besteht Gefahr für Privatsphäre?

Die Daten können über 40 Kilometer über Bluetooth angezapft werden, Sozialkontakte können nachverfolgt werden

Peggy Greiser: Ich denke, dass es wie überall Chancen und Risiken gibt. Sicherlich kann jede Software und jede App gehackt werden. Der Chaos-Computer-Club hat die Corona-Warn-App als relativ sicher vor Datendiebstahl eingestuft und falls es passiert, sei der Schaden gering, weil die Nutzerdaten nicht auf Servern, sondern dezentral gespeichert werden. Ich denke, dass die kritischen Hinweise der Universitäten bei eventuellen Updates berücksichtigt werden. Generell bin ich aber bei der App überzeugt, dass die Chancen vor den Risiken überwiegen.

Welche konkreten Hilfsmaßnahmen wurden innerhalb der Krise für Kinder, Alte, psychisch Kranke (depressive etc.) installiert? Beispiel: Die Suizidrate ist innerhalb von vier Wochen so angestiegen wie sonst in einem Jahr! Ihre Antwort darauf?

Peggy Greiser: Bei uns im Landkreis haben wir keinen Anstieg zu verzeichnen – das gilt sowohl für die Suizidrate als auch für Kriseninterventionen unseres Sozialpsychiatrischen Dienstes (SPDI), die zumindest ein Indikator für Eigengefährdung sind. Nach meinem Kenntnisstand gibt es derzeit aber auch deutschlandweit keine Anzeichen für mehr Suizide oder Depressionen. Dass die Einschränkungen aber – gerade für psychisch kranke Menschen – eine enorme Belastung sind und Erkrankungen mutmaßlich verstärken können, steht außer Frage. Und gerade in Ballungsräumen, wo man nicht einfach mal in die Natur gehen kann, sehe ich hier Risiken. Bei uns können viele Bürger ihre Grundstücke oder naheliegende Parks und Wälder nutzen, um abzuschalten oder die frische Luft zu genießen. Deswegen sollte man bestimmte Daten auch immer regional betrachten.

Im Landkreis stehen wir mit unserem SPDI mit telefonischen Sprechzeiten zur Verfügung und haben bereits zu Beginn der Krise zahlreiche Tipps kommuniziert, um mit der belastenden Situation umzugehen. Zudem haben wir alle wichtigen Telefonnummern für Notfälle oder allgemeine Hilfsangebote für psychische kranke Menschen kommuniziert.


Die Antworten auf Fragen zum Bürgerforum vom 26. Juni 2020 – Teil 2 finden Sie unter diesem Link.


Die Antworten auf Fragen zum Bürgerforum vom 26. Juni 2020 – Teil 3 finden Sie unter diesem Link.


Die Antworten auf Fragen zum Bürgerforum vom 26. Juni 2020 – Teil 4 finden Sie unter diesem Link.